MindBlog. Muster einer neuen Wir-Gesellschaft.
New Power - vernetzte Macht
Alte Machtstrukturen gründeten auf Autorität, Zentralisierung und exklusivem Zugang zu Ressourcen. Neue nutzen die Kraft der Community, Crowd-Funding und Dezentralisierung. In ihrem Buch „Die neuen Mächte – New Power“ (2018) beschreiben Jeremy Heimans und Henry Timms wie anders Erfolg in Zukunft definiert werden könnte. Denn Erfolg werden aus ihrer Sicht nur die Menschen, Führungskräfte und Organisationen haben, die die partizipatorische Energie in ihrem Umfeld am besten kanalisieren können. Mit vielen Beispielen illustrieren sie (ähnlich wie in meiner Trendstudie zur „Wir-Kultur“) wie das geht, aber auch was schief gehen kann – und warum manche Bewegungen und Plattformen in ihrer DNA eigentlich von „Old Power“ getrieben sind, auch wenn sie außen nach Netzwerk aussehen. Für alle, die noch kein Bewusstsein für die neue Welt der Beteiligung und der Power von Bewegungen haben ein must-read.
Friendship Bench: selbstorganisierte Hilfe
Davos 2019: Ein großartiges Projekt hat es aus Simbabwe zum World Economic Forum geschafft. Die „Friendship Bench„. Weil es im Land zu wenig psychologische Betreuung für Menschen gibt, die an Depressionen und Ängsten leiden (12 Psychiater für 14 Millionen Menschen), nehmen das freiwillige Sozialarbeiter in die Hand. Drei Wochen lang werden sie speziell geschult, um Menschen eine helfende Hand und unterstützende Gespräche auf – tatsächlich – Bänken anbieten zu können, die in der Nähe von Kliniken im ganzen Land stehen. „Community Grandmothers“ werden die mittlerweile 400 Freiwilligen genannt – denn sie sind alle weiblich, mit einem Durchschnittsalter von 58 Jahren. Hier kann man sehen wie das funktioniert. Eine erste Bank steht inzwischen auch in New York City. Denn Bedarf nach mehr „Wir“ gibt es überall auf der Welt.
Zukunfts-Satire mit Realpotenzial
Das Lachen gefriert einem auf den Lippen bei dieser Zukunftssatire. Marc Uwe Kling (ja, der mit den prämierten „Känguru-Chroniken“) hat mit Qualityland (2017) eine hochkomische, furiose und gleichzeitig gar nicht so ferne Zukunftsskizze geliefert, in der Künstliche Intelligenzen, ausgefuchste Konsum-Systeme und naive Endverbraucher und Bürger durch eine Welt stolpern, in der man nicht wirklich leben mag. Das Buch gibt es für Optimisten in hell und für Zukunftspessimisten in dunkel zu kaufen, ganz personalisiert eben. Und wer gleich noch eine literarische Zukunftsvision nachschieben will: Der Roman „Das Herz kommt zuletzt“ von Margret Atwood skizziert ein bizarres gesellschaftliches Experiment, das den Wunsch nach Sicherheit auf perverse Weise befriedigt. Die Hälfte der Zeit verbringt man mit produktiven Tätigkeiten für das Gemeinwohl im Gefängnis, die andere gut aufgehoben in der „Freiheit“ einer materiell abgesicherten Existenz. Doch die Schein-Idylle bröckelt schnell…
Weltbeben: Überforderung als neue Realität
Wie fühlt sich VUCA eigentlich an? Das Buch von Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart „Weltbeben – Leben im Zeitalter der Überforderung“ zeigt es. Klar, präzise formuliert und mit Tiefe. Er sagt dazu im Interview: „Nur wer seine Überforderung versteht, kann sie überwinden. Dieses Buch versucht ein Navigationssystem zu liefern, das in der zerklüfteten Gegenwartslandschaft Orientierung bietet. Wer bin ich? Wo stehe ich? Wo gibt es alternative Pfade? Diese Bewusstwerdung verspricht nicht Heilung, aber zumindest Hoffnung.“ Daher: bitte lesen. Es lohnt sich.
Millenials mit Wir-Kompetenz
Die 20 bis 29jährigen haben beim „Z2X“, dem „Festival für Visionäre“ der Zeit, das Sagen. Viele von ihnen sind Macher,“Wir“-Experten und können sich bestens selbst organisieren. 2016 startete die Eventreihe – und während die Redaktion noch über eine digitale Infrastruktur nachdachte, mit der sich die Teilnehmenden vernetzen sollen könnten, hatten sie das längst selbst in die Hand genommen und organisierten nicht nur ihre Workshops, sondern auch eine Dokumentation des „im Grunde undokumentierbaren Z2X“ schrieb Zeit-Chefredakteur Jochen Wegner. Und konstatiert: „Es gibt einen Unterschied zwischen Angepasstheit, die dieser Generation gelegentlich vorgeworfen wird, und entschlossener Kooperativität“, und die Z2X-Teilnehmenden hätte ihn plastisch herausgearbeitet. Die Selbstorganisation des Z2X-Schwarms sei in allen Workshops und Fragerunden zu spüren gewesen, wo einfach mal die Gruppe übernahm. Zwischen den mittlerweise drei Festivals lebt die Community weiter. Das macht Zukunftshoffnung.
Mindful Boards
Mindfulness jetzt auch im Vorstand? „Ja“ sagen Charlotte M. Roberts und Martha W. Summerville in strategy+business. Allerdings deklinieren sie den Begriff etwas anders. Ein „mindful board“ hat für sie vor allem eines – die Kapazität gemeinsam auf tiefe Art und Weise zu denken und möglichst viele Perspektiven einzunehmen. Zum Gelingen gehört für sie: Raum, in dem jeder angstfrei seinen Beitrag leisten kann, in dem jeder aktiv werden darf ohne auf eine Einladung zu warten und die Verpflichtung jedes einzelnen, dass umfassende Schlüsse gezogen und belastbare Entscheidungen getroffen werden. Damit ist die Gruppe mehr als die Summe von Einzelmeinungen. Bleibt nur zu wünschen, dass diese Art der Kommunikation schnell um sich greift.
Zusammenarbeit motiviert
Mit anderen zusammenzuarbeiten motiviert. Selbst wenn man physisch von ihnen getrennt ist. Das haben Forscher in Stanford herausgefunden. Das Experiment: Während eine Gruppe von Probanden alleine an einem Puzzle arbeitete und „Tipps“ von scheinbaren Kollegen hineingereicht bekam, arbeitete die Vergleichgruppe ganz alleine. Erstere hatten um 48 bis 64 Prozent mehr Durchhaltevermögen, ein grösseres Interesse an der Aufgabe, engagierten sich mehr und brachten eine bessere Leistung. Fazit: Der soziale Kontext, in dem man arbeitet, spielt eine wesemtliche Rolle – selbst wenn er nur eine psychologische Konstruktion ist und keine „echte“ Realität.
Homo Socialis: Vernetzen bitte!
Lange war der Homo oeconomicus Leitbild der Wirtschaftswissenschaftler. Doch die Verhaltensökonomen haben frischen Wind in die Zunft gebracht – einen „Homo Socialis“ gibt es auch, wie zahlreiche Experimente zeigen. Doch können sich solche altruistisch geprägten Menschen überhaupt auf Dauer durchsetzen? Die Antwort: Ja. Thomas Grund und Dirk Helbling am Lehrstuhl für Soziologie an der Uni Zürich simulierten in einem Experiment eine Welt, in der es ein paar Altruisten gibt, aber ansonsten Bedingungen herrschten, die Kooperation nicht unterstützen. Trotzdem setzen die Altruisten sich mit der Zeit durch. Allerdings nur unter einer Bedingung: Wenn sie sich vernetzen (www.soms.ethz.ch).
Gehirn als soziales Organ
Unser Gehirn ist ein soziales Organ. Wie wir miteinander umgehen, strukturiert unmittelbar und direkt unsere physiologischen und neurologischen Prozesse. Das sagt David Rock, Mitbegründer des amerikanischen NeuroLeadership Institute. Deswegen müssen wir auch die Arbeitswelt anders betrachten: „Although a job is often regarded as a purely economic transaction … the brain experiences the workplace first and foremost as a social system.“ Das hat weitreichende Folgen: „People who feel betrayed or unrecognized at work – for example when they feel reprimanded, given an assigment that is unworthy, or told to take a pay cut – experience it as a neural impulse, as powerful and painful as a blow to the head.“ Für Führungskräfte ergeben sich daraus neue Aufgaben: „Leaders who understand this dynamic can more effectively engage their employees best talents, support collaborative teams, and create an environment that fosters productive change. Indeed, the ability to intentionally address the social brain in the service of optimal performance will be a distinguishing leadership capability in the years ahead“ (strategy+business, issue 56). Die Frage ist nur: Wiebringt man diese Erkennnisse auf die Curricula von Management-Ausbildungen?